Sammlung Migros Museum für Gegenwartskunst
Julie Becker, Monica Bonvicini, Maurizio Cattelan, Anne-Lise Coste, Hanne Darboven, Sylvie Fleury, Florian Germann, Gianni Motti, Juan Muñoz, Ugo Rondinone, Michael Smith, Paul Thek, Nora Turato
Wie prägen Störungen unser Verhältnis zur Welt? Diese Frage stellt die zweiteilige Ausstellung Aus den Fugen – Momente der Störung anhand verschiedener Arbeiten aus der Sammlung des Museums. Störungen können als leises Knirschen den Normalverlauf unseres Alltags kurzzeitig zum Stocken bringen, aber auch dramatisch und radikal in unsere Realität einbrechen. Sie können die Ordnung von Gesellschaften, Systemen und Institutionen auf die Probe stellen und deren Funktionsweisen offenlegen, wobei gezielte Störversuche oft mit Kritik verbunden sind. Vielfältig in der Form, sind Störungen nicht zuletzt auch imstande, unsere Wahrnehmung zu manipulieren, Bedeutungen zu verschieben und Überzeugungen infrage zu stellen.
Eine zentrale Rolle spielt diese Destabilisierung unserer Wahrnehmung von Realität und Wahrheit im zweiten Teil der Ausstellung. Mehrere Arbeiten beleuchten hier, wie diese Begriffe durch bewusst konstruierte Zusammenhänge und Narrative ins Wanken geraten können. So verarbeitet die Künstlerin Julie Becker in ihrer Arbeit den Mythos einer verdeckten Beziehung zwischen dem Album The Dark Side of the Moon (1973) von Pink Floyd und dem Film Der Zauberer von Oz (1939). Indem Becker erfahrbar macht, wie das Album einen geheimen Soundtrack zum Film darstellen könnte, befragt sie auch die Mechanismen solcher Mythenbildung. Bei Hanne Darboven und Paul Thek zeigt sich in den Werken selbst eine komplexe Verknüpfung von Themen aus gesellschaftlichen und kulturellen Kontexten, die eine eigene verschachtelte Wahrheit zu behaupten scheint. Arbeiten wie diese lassen uns darüber nachdenken, wie wir selbst den Wahrheitsbegriff fassen und ihn individuell wie sozial aushandeln.
Zudem beleuchtet die Ausstellung Störungsszenarien, die als Reaktion auf das Weltgeschehen entstehen oder im Bereich der Fiktion – etwa in Film oder Literatur – entworfen werden. Mit satirischen Mitteln behandelt beispielsweise die zwischen 1983 und 1985 entstandene Arbeit von Michael Smith die Gefahr einer nuklearen Katastrophe, die besonders zur Zeit des Kalten Kriegs eine reale Bedrohung darstellte. Aber auch rein imaginäre Störungsszenarien können sich gesellschaftlich auswirken, indem sie unsere Interpretation der Realität prägen. Eine bedrohliche Stimmung geht auch von Monica Bonvicinis Installation und den Skulpturen von Juan Muñoz aus; beide deformieren uns vertraute architektonische Strukturen. Hier hängen Widerstand und Wut, Verletzlichkeit und Zerfall eng miteinander zusammen. Darüber hinaus sind in der Ausstellung Arbeiten zu sehen, die sich mit expliziten Figuren der Störung beschäftigen: Während Ugo Rondinones Arbeit vom Clown ausgeht, der an bestehenden Verhältnissen Kritik übt und gesellschaftliche Ängste demaskiert, greift Florian Germann das Phänomen des Poltergeistes auf, der angeblich Menschen heimsucht und schikaniert.
Wie schon im ersten Teil sind auch hier die Kunst und ihr Bezug zur Störung von Bedeutung. Kunst reflektiert das Gesellschaftliche nicht von ausserhalb, sondern aus ihrem Eingebundensein heraus, wobei Künstler*innen den Status Quo kritisieren, Konventionen unterlaufen sowie neue Perspektiven und Möglichkeitsräume aufzeigen können. Kunst und Störung sind eng miteinander verwandt – beide konfrontieren uns mit der eigenen Wahrnehmung und unserem individuellen wie gesellschaftlichen Selbstbild.
Kuratorin: Nadia Schneider Willen, Sammlungskonsveratorin, Migros Museum für Gegenwartskunst
Kuratorische Assistenz: Viktor Hömpler, Kuratorische Assistenz / Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Migros Museum für Gegenwartskunst
Scritto da Zero Zurich