Die malische Sängerin Rokia Traoré ist nicht nur wegen ihrer hinreissenden Stimme einzigartig. In ihrem über 20-jährigen musikalischen Schaffen hat sie sich als unabhängige, offene Künstlerin erwiesen, die über ihr Leben, ihre Karriere und ihre musikalischen Projekte selbst bestimmt.
In ihrem aktuellen Bühnenprojekt, für das sie dem amerikanischen Theaterregisseur Peter Sellars beigezogen hat, widmet sie sich der Griot-Tradition, einem zentralen Element der oralen Erzählkultur Malis. Die Kaste der Griots, auch Djelis genannt, war bei den westafrikanischen Mande verantwortlich für die Vermittlung von wichtigen Ereignissen in der Geschichte des Volkes. Ihr Medium dafür waren Gesang und Musik. Begleitet von zwei herausragenden malischen Musikern erzählt Rokia Traoré Ausschnitte aus dem «Sundiata»-Epos. Dabei geht es ihr weder um eine möglichst genaue Interpretation der klassischen Songs noch um eine forcierte Wiederbelebung nach festgelegtem Formen und Inhaltsrepertoire.
Was sie interessiert, ist die dramaturgische Kraft und die natürliche Intensität der mündlichen Erzählung. So erzählt sie die «Sundiata» nicht in der Sprache der Mande, sondern auf Englisch. Mit emotionaler Verbundenheit, aber einem unverstellten Blick – sie gehört nicht zur Kaste der Griots – hat sie sich als Künstlerin des 21. Jahrhunderts die uralten Melodien und Geschichten angeeignet und sie in ihre Gegenwart aufgenommen.
Scritto da Zero Zurich