Seit den 1980er Jahren hat Dunham seinen Stil weiterentwickelt und ein umfangreiches Werk geschaffen, das Malerei, Zeichnung, Druckgrafik und Skulptur umfasst. Während er am Anfang minimalistisch arbeitete, wurden seine abstrakten organischen Formen zunehmend konkret und es bildeten sich Serien wiederkehrender Figuren heraus. Darunter ist eine mit einer phallusartigen Nase, die einen Hut und einen Anzug trägt und damit aus Krimis der 1950er Jahre zu stammen scheint. Später war Dunham vor allem mit dem Motiv von Badenden und den üppigen Landschaften, die sie umgeben, beschäftigt – teilweise auch mit einzelnen Bäumen. Die Figuren änderten sich, stammten aber noch immer von Formen aus vorangegangener Arbeiten ab. Genau wie bei dem evolutionären Gedanken, dass jedes Wesen noch die Gene der ersten Mikrobe trägt, beinhaltet jede Dunham-Leinwand die Formen und Striche der Arbeiten, die ihr vorausgingen.
Dunhams Akte haben ihre Wurzeln im Minimalismus, im Primitivismus und in der Bildsprache von Comics. Gleichzeitig finden sich in seinen Arbeiten Verweise auf berühmte Motive der Kunstgeschichte – etwa die Badenden – sowie auf moderne Künstler wie Matisse oder Cézanne. Diese Verweise sind wichtig für Dunhams Arbeit, bilden aber nicht ihren Kern. Während er über ein breites kunsthistorisches Wissen verfügt und sich auf seinen eigenen Kanon bezieht, entstehen die Arbeiten im Akt des Malens selbst im Raum zwischen Hand und Leinwand.
2013 malte Dunham seine ersten Ringer und führte damit ein Sujet ein, das im Kontext seiner bisherigen Arbeiten unerwartet, aber konsequent in Hinblick auf seinen formalen Ansatz ist. Die Gemälde zeigen zwei nackte Männer, die sich stark ähneln und sich in einem fortwährenden Kampf gegenseitig niederzuringen versuchen, während keiner von beiden die Oberhand gewinnt. Die einzigen Unterschiede zwischen den Arbeiten sind wechselnde Würgegriffe und andere dynamische Posen, in denen ein Ringer den anderen zeitweise dominiert. Die mit blauen Flecken übers.ten Körper deuten allerdings darauf hin, dass keiner für längere Zeit die Oberhand behält. Dementsprechend scheint die Umgebung mit ihren minimalistischen Landschaften und ihren einzelnen Bäumen aus Zeit und Raum gefallen. Die buchstäbliche Zeitlosigkeit der Darstellungen gilt auch für das Motiv selbst: Ringkämpfe kommen auf der einen Seite oft in mythologischen Narrativen vor, wo sie oft zwei Mächte – gut und böse – symbolisieren, die sich gegenseitig bekämpfen. In der Ilias zum Beispiel beschreibt Homer einen Kampf zwischen Odysseus und Ajax. Auf der anderen Seite bezieht das Ringen sich auf Dunhams reale und alles andere als mythologische Kindheit in Connecticut, wo er mit seinem Bruder Ringkämpfe austrug. Es stellt sich die Frage, ob die beiden identischen Ringkämpfer Brüder oder Feinde sind – oder beides.
Formal sind die Ringer den Badenden trotz ihres Geschlechts verwandt: Die wulstigen Gliedmaßen, die ausgestreckten Zehen, die runden Hinterbacken und die knopfartigen Brustwarzen sind bekannte Merkmale. Die Kombination aus weißer mit blauen Flecken übers.ter Haut und schwarzem, krausem Haar erinnert an den Körperbau der Figuren aus seinen vorigen Arbeiten. Dadurch wird die evolutionäre Arbeitsweise deutlich, in der jedes Gemälde als Rekombination und Mutation vorangegangener Arbeiten gesehen werden kann. Wenn man die männlichen Ringer im Detail betrachtet, gleichen sie den weiblichen Badenden bis aufs Haar: ein Körper, der ins Wasser springt, wird zu einem Ringer, wenn er von einem anderen in die Luft gezwungen wird; weibliches Haar wird zum Bart, wenn es ans Kinn gesetzt wird; und die Penisse sind nicht mehr als eine runde Form mit einem kleinen Punkt in ihrer Mitte – genau wie in Arbeiten, in denen pinke Kleckse mit einer schwarzen Linie Vaginas darstellten. Das potentiell sexuell aufgeladene Motiv von zwei nackten, ringenden Männern wird dadurch entschärft, dass die Genitalien beider Figuren so harmlos wirken wie ihre großen Zehen, und damit der zugrunde liegenden Geometrie genitaler Repräsentation in Dunhams Werk entsprechen. In Hinblick auf ihre Form scheinen die akrobatischen Posituren der Ringer sich nicht nur nach den Möglichkeiten des Ringkampfs zu richten, sondern auch nach der malerischen Frage, wie eine Komposition dynamisch und gleichzeitig ausgewogen und leinwandfüllend sein kann. Um dieses visuelle Gleichgewicht herzustellen, werden die Ringer von Bäumen, Wolken und der Sonne begleitet – manchmal auch von ruhig zuschauenden Tieren, wie origamiartigen Vögeln oder einem kleinen, braunen Hund. Egal wie sehr der Kampf außer Kontrolle gerät, die Kompositionen füllen die Leinwand auf eine nahtlose, fast unheimliche Weise.
Letztlich zeigen die Arbeiten in der Ausstellung nicht nur verschiedene Stadien ein und desselben Kampfes, sondern erzählen auch eine Geschichte: Die letzten beiden Leinwände in der Ausstellung tragen die Titel Blue Ending und Red Ending. In diesen Arbeiten besiegt ein Ringer den anderen. Im Gegensatz zur Verspieltheit der vorausgegangenen Gemälde hat der Kampf hier eine folgenschwere Wende genommen. Während der unterlegene Kämpfer in Blue Ending ausgeknockt sein könnte, hat der überlegene Ringer in Red Ending dem anderen Kämpfer die Augen ausgestochen und hält seine Trophäen in einer drastischen Siegerpose in die Höhe. Die Augen zu verlieren ist nicht unbedingt tödlich, aber es würde zweifellos das Ende der Malerei bedeuten – egal ob aus der Perspektive des Künstlers oder des Betrachtenden. Letztendlich geht es in dem Kampf also auch ums Sehen und damit um Malerei. Allerdings kann ein Ende in Dunhams Arbeiten, die sich stets aus sich selbst generieren, nur einen neuen Anfang bedeuten.
Ein Katalog mit einem Essay von Naomi Fry wird die Ausstellung begleiten.
Carroll Dunham wurde 1949 in New Haven geboren und lebt und arbeitet in New York. Seine erste Ausstellung in der Galerie Eva Presenhuber fand 2014 statt. Mit seinen Arbeiten ist er weltweit in bedeutenden Museen und Sammlungen vertreten, u.a. im Albertina Museum, Wien; im Museum Ludwig, Köln; im Museum of Modern Art, New York; im Museum of Contemporary Art, Los Angeles; im Philadelphia Museum of Art, Philadelphia; in der Sammlung Olbricht, Essen; und in der Tate Collection, UK. Einzelausstellungen fanden zuletzt u.a. statt im Denver Art Museum, Denver (2014); im Museum Ludwig, Köln (2009); im Millesgarden, Stockholm (2009); und im Drammens Museum, Drammen (2006). Zu den Gruppenausstellungen in bedeutenden Institutionen gehören u.a. Art Crush: Aspen Art Museum, Aspen (2018); Fast Forward: Painting from the 1980s, Whitney Museum of American Art, New York (2017); Light/Dark, White/Black: Addison Gallery of American Art, Phillips Academy, Andover (2015); Pretty Raw: After and Around Helen Frankenthaler, Rose Art Museum, Brandeis University, Waltham (2015); America is Hard to See, Whitney Museum of American Art, New York (2015); Des histoires sans fin, Musée d’art moderne et contemporain, Genf (2015); Painting 2.0: Expression in The Information Age, Museum Brandhorst, Munich (2015); und Disturbing Innocence, FLAG Art Foundation, New York (2014).