„Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast …“
Eigentlich müssen sich die fünf Freunde auf ihr Abitur vorbereiten. Doch was machen coole Teens aus Süd-London, wenn sie sich langweilen? Sie versuchen auf ihren Instrumenten ein paar Lieder. Teilweise ist das Equipment unvollständig oder kaputt, aber dennoch gründen sie eine Band. Instrumente werden ausgeliehen oder mit Gaffa-Tape zusammen geklebt. Die ersten Songs hat Sänger Charlie Steen bereits geschrieben. Er beobachtet nicht nur das politische Geschehen, sondern studiert auch Menschen und ihre Verhaltensweisen. Seine Generation ist betroffen vom schlechten Gesundheitssystem in Großbritannien, Brexit und Theresa May (über sie schreibt er einen ganz besonderen Liebessong „Theresa May-baiting Visa Vulture“).
Seine Texte sind aber auch geprägt von Schriftstellern wie Irvin Welsh. Bands wie Television, Personalities, The Fall und Joy Division haben vielleicht auch seine Eltern gehört, aber auf jeden Fall seine Freunde, die immer ein paar Jahre älter sind. Zusammen mit Sean Coyle-Smith (Gitarre), Eddie Green (Gitarre), Charlie Forbes (Schlagzeug) und Josh Finerty (Bass) nennen sie sich Shame. Sie sind keine Punks im klassischen Sinne. Sie wollen aber irgendwie anecken und provozieren. Im Stadtteil Brixton wachsen die Jungs auf. Das Viertel ist bekannt für seine musikalische Lebendigkeit und Hausbesetzer-Szene. Hier finden immer noch spontane Gigs in abgewetzten Räumen statt. Shame proben in einem Pub, dort findet auch ihr erstes Konzert statt. Vor vier Gästen. Drei davon sind Freunde der Band. Es dauert nicht lange und die Shows werden in größere Clubs verlegt.
2015 spielen sie bereits im Vorprogramm von Slaves und Warpaint. 2017 spielen Shame bis zu 300 Konzerte im Jahr. Alles geben und mit dem Publikum agieren. Während andere Teenager nach der Schule den Rucksack packen und per Anhalter oder Zug auf die Welt erkunden, steigen Shame in den Tourbus, lernen Land und Leute auf ihren zahlreichen Konzerten kennen und verhelfen dem britischen Post-Post-Game zu neuer Blüte.
Nun haben sie mit „Drunk Tank Pink“ den Nachfolger des äußerst erfolgreichen Debütalbums „Songs Of Praise“ angekündigt. Als Produzenten haben sie sich James Ford an Land gezogen, der in der Vergangenheit bereits mit Acts wie den Arctic Monkeys, The Last Shadow Puppets, Florence + The Machine und Depeche Mode zusammengearbeitet. Dies alleine sollte schon die Ambitionen der Band untermauern.
Die Single „Water in the Well“ zeigt bereits, wohin die Reise hingehen könnte. Der Sound ist größer und abenteuerlustiger. Dafür muss die Unverblümtheit im Sound den großen Gesten weichen. Dieser kreative Sprung wurde auch zum Teil durch den kürzlichen Knall der Band zurück auf den pandemischen Boden der Tatsachen ausgelöst. Der Großteil der Band-Existenz ruhte auf den wilden Live-Erlebnissen, die sie eben genau so nicht mehr erleben können. Pubs sind geschlossen, Venues sowieso und virtuell möchte bei einer Band wie shame nicht so recht Stimmung aufkommen.
Dieses Zurückholen in die Realität traf die Band auch persönlich schwer, wie der Frontmann Charlie Steen erklärt. Er habe versucht den Weg aus der Psychose heraus zu finden: „When you’re exposed to all of that for the first time you think youre fucking indestructible“, bemerkt er. „After a few years you reach a point where you realise everyone needs a bath and a good night’s sleep sometimes.“ „Drunk Tank Pink“ wird große autobiografische Einflüsse haben und dadurch auch schonungslos ehrlich sein – nur eben anders.
Das Album, welches sie am 6. November live im mascotte Zürich vorstellen werden, erscheint am 15. Januar 2021 via Dead Oceans.
Geschrieben von Zero Zurich