Der Landi-Stuhl von Hans Coray, die Holzstühle von Horgenglarus, der Sparschäler Rex und Taschenmesser von Victorinox– sie alle stehen für Schweizer Designtradition. Was vereint das Schweizer Design von heute? Klischee und Kritiker definieren es als rational, reduziert und sparsam im Umgang mit Materialien. Trifft dies auf aktuelle Entwürfe immer noch zu? Und wo kommt das Prinzip der Guten Form eigentlich her? Mit diesen Fragen und dem Status Quo der Schweizer Designszene setzten sich acht Gestalter auseinander: Aurel Aebi (atelier oï.), Jörg Boner, Alfredo Häberli, Stephan Hürlemann, Charles O. Job, Moritz Schmid, This Weber und Stefan Zwicky diskutierten über DNA und Vielseitigkeit des eidgenössischen Designs, über die Chancen der Digitalisierung und über die Bedeutung analoger Momente wie Messen und Ausstellungen.
Im Vorfeld der Design-Ausstellung „neue räume 17“, bei der das Schweizer Design traditionell eine wichtige Rolle spielt, kamen Ende August auf Initiative des Ausstellungsmachers und Architekten Stefan Zwicky in Zürich acht namhafte Schweizer Designer zu einem konstruktiven Schlagabtausch zusammen. Unter der Moderation des Journalisten HG Hildebrandt ging es um aktuelle und zukünftige Einflüsse und Herausforderungen und die Frage, was es bedeutet, sich im Spannungsfeld zwischen Tradition und Zukunft immer wieder neu positionieren zu müssen.
Schweizer Design – ein Definitionsversuch
Kann man heute überhaupt noch von einem typischen Schweizer Design sprechen und wo liegen die Wurzeln der nationalen Designtradition? Auf diese Fragen fanden die Designer spannende, teils überraschende Antworten. „Für mich ist Schweizer Design erst einmal Präzision und eine gewisse Einfachheit“, so Aurel Aebi. Allerdings, da waren sich die Diskutanten einig, gäbe es kulturelle Unterschiede der verschiedensprachigen Regionen: „In der Schweiz sind verschiedene Kulturen zusammen gekommen, die Deutschschweiz, das Tessin und die Romandie. Deshalb ist es immer schwierig, das Ganze auf die Deutschschweiz zu fokussieren,“ so Aebi. Ähnlich sieht es Jörg Boner, der während seiner Zeit an der Designhochschule ECAL in Lausanne besonders die Herangehensweise der französischen Designer schätzen gelernt hat: „Bei uns braucht es immer einen Grund, um etwas zu machen. Der französische Ansatz ist, dass man auch einfach ohne Grund etwas machen kann, und das finde ich super! Auch eine schöne Linienzeichnung kann dort ein Grund sein.” Und so mahnt er, dass es den deutschschweizer Mythos gibt und dieser oft als „Schweizer Ding” verkauft wird. „Hier geht es oft um Klischees, aber natürlich steckt in jedem Klischee auch ein bisschen Wahrheit,“ so Boner. Stefan Zwicky stimmt hier zu: „Hersteller aus dem Ausland arbeiten sehr gerne mit Schweizern zusammen, weil sie pünktlich, genau und präzise sind. Das ist nach wie vor so.“ Zwicky führt den Ursprung des typischen Schweizer Designs auf die 1930er- und 1940er-Jahre und vor allem auf die Nachkriegszeit zurück, auf die viel beschworene „Gute Form“, stellt aber ebenfalls eine Vermischung nationaler Designs fest.
This Weber, der viel mit italienischen Herstellern kooperiert, weiss um den Einfluss der Schweizer Designtradition auf seine Arbeitet, beschreibt sein Schaffen jedoch nicht durch diese definiert: „Viele meiner Auftraggeber wissen gar nicht, dass ich Schweizer bin. Aber trotzdem habe ich natürlich mein Paket aus der Schweiz dabei. Aber mich würde jetzt wahrscheinlich keiner engagieren, nur weil ich Schweizer Designer bin.“ Für ihn selbst sind vor allem die Proportionen eines Entwurfs entscheidend. Ähnlich sieht es Moritz Schmid: „Ich mache mir bei meiner Arbeit gar keine Gedanken darüber, ob es schweizerisch ist oder nicht.“ Er bringe von jeder Reise Inspirationen mit, verweist aber gleichzeitig auf die Tradition und das spezifische Know-how des Standorts Schweiz, den er als Designer nicht ablegen kann. Der aus Nigeria stammende Architekt und Designer Charles O. Job erkennt die Leistungen des Schweizer Designs bewundernd an, wenn er feststellt: „Ich bin ja der einzige Nichtschweizer in der Runde und bevor ich ins Land kam, hatte ich keine Ahnung, was Schweizer Design ist. Als ich es dann kennenlernte, war ich sehr sehr fasziniert und merkte schnell, dass es vor allem um Erfindungsgeist geht.“
Auch Stephan Hürlemann fällt es schwer, das Schweizer Design zu definieren: „Schweizer Kunden und die meisten Designer sind inzwischen international tätig. Ich kann keinen formalen Stempel auf das Schweizer Design setzen. Allerdings habe ich recht viele Schweizer Kunden und erkenne hier doch eine gewisse konservative, eher zurückhaltende Art.“ Doch er ist überzeugt, dass der Wandel auch im Design unaufhaltsam ist: „Wir sind Zeitzeugen. Alle werden wir beeinflusst, vor allem durch die Medien. Ob japanisches Design oder Einflüsse aus Südamerika, alles was wir sehen, hat irgendwo auch einen formalen Output auf unsere Entwürfe und letztendlich dann ja aufs Schweizer Design.” Trotz zunehmender Internationalität im Design sieht Alfredo Häberli, der selbst argentinische Wurzeln hat, weiterhin nationale Unterschiede, auch im Bezug aufs Wohnen. „Verschiedene Länder, verschiedene Formen. Die Skandinavier streichen einmal im Jahr die Wand, sie wohnen insgesamt viel farbiger. Franzosen, Italiener und Schweizer sind wieder anders.“
Nachhaltigkeit und Beständigkeit bleiben entscheidende Teile des Designbegriffs
Neben Erfindungsgeist, Innovation und Präzision stellen die Schweizer Gestalter an ihre Entwürfe den Anspruch, die Zeit zu überdauern. Nachhaltigkeit wird nicht auf Qualität und ökologische Materialien reduziert. Für Jörg Boner liegt hier die eigentliche Wurzel des Designs: „Das genau macht doch einen Designer aus, Sachen zu erschaffen, die formal und inhaltlich die Zeit überdauern. Das ist auch ein großer Ansporn für meine Arbeit. An diesem Ziel scheitert man natürlich immer wieder auch, das ist klar. Aber eigentlich ist das genau das Spannende an dem Ganzen.“ Auch Stephan Hürlemann hat bei seinen Kunden beobachtet, dass Produkte gewünscht sind, die auf bestimmte Lebensphasen ausgerichtet sind. Dabei sei „beispielsweise die Zeit, in der Kinder ein fixer Bestandteil des Alltags sind, eigentlich verhältnismäßig kurz.” So sehen sich die Designer häufig dem Kontext, in dem ihr Kunde agiert, ausgesetzt, auch wenn sie lieber Möbel entwerfen würden, die zu allen Lebensphasen passen.
Auch die soziodemographischen Veränderungen unserer Zeit stellen die Designer vor Herausforderungen. Neben Entwürfen, die Menschen im besten Fall über mehrere Lebensabschnitte begleiten, müssen sie sinnvolle Alternativen schaffen, wie This Weber anmerkt: „Wir müssen Optionen anbieten und sowohl preisgünstige als auch teure Möbel herstellen“. Für Alfredo Häberli besteht die größte Herausforderung der Zukunft darin, mit dem steigenden Kostendruck umzugehen: „Es ist schon so, dass die Preise einfach total unter Druck stehen. Ich glaube, dass ist der größte Spagat, den wir machen müssen, dass nicht irgendwann die Qualität der Produkte darunter leidet.“
Das Internet als Kaufhaus, die Messe als Treffpunkt
Die Digitalisierung der Einrichtungsbranche ist Herausforderung und Chance zugleich, sind sich die Designer sicher. „Besonders jüngere Leute haben heute absolut kein Problem damit, ein Sofa ohne Probesitzen im Internet zu bestellen. Wir müssen zukünftig einfach mehr bieten und Erlebnisse kreieren, damit die Leute überhaupt aus dem Haus gehen, um sich unsere Entwürfe anzusehen. Die Anforderungen an Ausstellungskonzepte werden immer grösser,” so This Weber. „Ich glaube, wir müssen ein entspanntes Verhältnis zum Digitalen zu finden.“, meint Jörg Boner. Besonders die Verzahnung der analogen mit der digitalen Welt biete spannende Möglichkeiten. Was spricht dagegen, wenn am Samstagmorgen das Sofa im Showroom getestet und dann abends der Kauf bei einem Glas Rotwein online getätigt wird? „Damit das Design über sich erzählen kann, machen wir eine Publikumsmesse wie die ‚neue räume’ nun schon seit 16 Jahren,“ so Stefan Zwicky. Die klassischen Präsentationen der Aussteller stellen eine einzigartige Chance dar, „gegenüber Fachhandel und Verbrauchern Professionalität zu zeigen und damit Vertrauen in ihre Produkte aufzubauen,“ ergänzt Stephan Hürlemann. Charles O. Job als Designer stellt das Dasein und das Miterleben in den Fokus: „Ich gehe immer auf Messen. Ich schätze natürlich auch das Digitale, mache sehr viele Fotos und bin auf Facebook und Instagram aktiv. Aber um die Fotos zu machen, muss man eben auch vor Ort sein.” Nicht nur als Inspirationsquelle für Endverbraucher sind Einrichtungsmessen nach wie vor gefragt, auch als Branchentreffpunkt spielen sie eine wichtige Rolle. Das unmittelbare Feedback der Kunden sei unbezahlbar.
neue räume 17 mit Sonderschau zum Schweizer Designer’s Talk
Die „neue räume 17“ wird Fachpublikum und Endverbraucher wie gewohnt auch mit spannenden Sonderschauen locken. In diesem Jahr werden die Ergebnisse des Designer’s Talk sowohl multimedial als auch zum Anfassen inszeniert. Alle Designer erzählen in Kurzvideos Anekdoten aus ihrem Leben als Gestalter, bieten persönliche Einblicke in ihre Arbeit und stellen Lieblingsobjekte vor. Parallel dazu veranschaulichen ausgewählte Arbeiten ihre Werte im Bezug auf Design und Gestaltung.